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Eine kurze Geschichte des Online-Lernens

Am 20. März 1728 erschien eine Anzeige in der Boston Gazette, in der Unterricht in Kurzschrift angeboten wurde. Bemerkenswerterweise richtete sie sich nicht ausschließlich an Bewohner von Boston, sondern an jedwede "Person in the Country desirous to Learn this Art". Der Lehrer (i.S. von instructor) schlug vor, wöchentliche Lektionen mit der Post zu schicken, was es jedem ermöglichen würde, bei ihm zu lernen "as perfectly as those that live in Boston". In dieser Anzeige spiegelt sich die Tendenz, viel zu versprechen, obwohl man wenig einlösen kann, eine Tendenz, die in den folgenden 300 Jahren beim Fernlernen immer wieder zu beobachten war, auch wenn es um Formate im Radio, Fernsehen oder Internet ging. Im Laufe der Geschichte haben viele der erfolgreichen Fernlernkonzepte – ob es sich um das Chautauqua Movement, die Open University oder Ivan Illich's Lernnetze handelte – Fernunterricht in einem dezentralen Netzwerk von Präsenz-Treffen verankert.

Im Laufe der letzten zwanzig Jahre sind die durch die Vision von frei verfügbaren Lernressourcen geleiteten Bestrebungen v.a. unter dem Schlagwort Open Educational Resources oder OER in Erscheinung getreten. OER werden definiert als "resources that reside in the public domain or have been released under an intellectual property license that permits their free use and re-purposing by others".

Um das Jahr 2008 herum begannen einige Personen und Institutionen, noch einen Schritt weiter zu gehen, was die OER-Aktivitäten betraf. Statt nur Lernmaterialien online zu teilen, begannen sie, frei zugängliche Onlinekurse zu veranstalten, bei denen sich Lernende aus aller Welt anmelden konnten und als Online-Community gemeinsam Kursmaterialien durcharbeiten konnten. Diese Experimente wurden als MOOCs bezeichnet: Massive Open Online Courses (MOOCs). Die Bezeichnung MOOC ist seit ein paar Jahren nicht mehr so oft zu hören (und auf vieles, was als MOOC bezeichnet wird, trifft weder das Wort massive noch das Wort open zu), aber das bedeutet nicht, dass sie gar nicht mehr populär wären. Laut Class Central (eine MOOC-Suchmaschine und -Übersichtsseite) nahmen im Jahr 2019 immerhin 110 Millionen Menschen an 13.000 Onlinekursen teil.

Verbreitete Arten von Onlinekursen

Onlinekurse gibt es in allen möglichen Formen. Sie können von Fachleuten erstellt sein, von Fakultätsmitgliedern, Lerndesignern oder Leuten, die sich mit einem bestimmten Hobby beschäftigen. Sie können auf der Website einer Person gehostet werden oder können Teil eines umfassenderen universitären Konzepts sein. Einige Kurse sind open access in der Form, dass sie eine Lizenz haben, die sowohl Re-use als auch Adaptation erlaubt, während andere kostenfrei sind, aber durch die Copyright-Bestimmungen Nutzern untersagen, durch eine Art Remix die Kursmaterialien den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Es gibt vier verbreitete Arten von Kursen, die wir in Lernteams begegnen:

  • Kurse, die eine open license haben werden als Open Educational Resources oder OER bezeichnet. OER sind nicht nur frei zugänglich, sondern erlauben auch das ‚repurposing' durch Nutzer. Das bedeutet, wir können alte Versionen hosten, Aktivitäten übersetzen und Materialien für den Gebrauch in neuen Kontexten anpassen. Wir ziehen es vor, mit OER zu arbeiten, weil wir wissen, dass wir immer das Recht behalten, auf diese Materialien zuzugreifen.

Beispiele: MIT OpenCourseWare, Open Learning Initiative, OpenLearn, Wisc-Online. OERu, freeCodeCamp, Saylor Academy and Skills Commons.

  • Kurse, die kostenlos sind, aber nicht offen stellen die große Mehrzahl der Kurse dar, die zurzeit für Lernteams verwendet werden. Während die Qualität dieser Kurse oft gut ist, besteht das Risiko, dass diese Kurse nicht immer vorhanden sind, weil sie manchmal offline gestellt werden oder hinter Paywalls verschwinden.

Beispiele: edX, Coursera, Khan Academy, und Udacity.

  • Freie/Open-Access-Tools und Datenbanken können auch erfolgversprechend als Grundlage eines Lernteams dienen. Moderierende haben ein Gerüst für Kurse um diese Tools herum entwickelt, um dazu beizutragen, dass sie in einem Gruppenkontext nutzbar sind:

Beispiele: Scratch, Tinkercad, GIMP, Wikipedia, Youtube, and Project Gutenberg.

  • Proprietäre Kurse berechnen Lizenzgebühren für den Zugang zu Materialien. Unser Konzept sieht nicht vor, dass Lernteams von Lernenden Beiträge für die Teilnahme erheben, aber oft haben Bibliothekssysteme oder Schulen bestehende Verträge mit Anbietern, und in diesen Fällen kann man solche Kurse auch für Lernteams heranziehen. Wenn Sie einen Kurs eines proprietären Anbieters auswählen, können Sie ihn einem Lernteam zugrunde legen, aber der Kurs wird nicht für andere in der P2PU-Kurs-Datenbank sichtbar sein.

Beispiele: GALE Courses, LinkedIn Learning und Universal Class.

Kurse suchen

Diejenigen, die an Lernteams teilnehmen, kommen zusammen, weil ein gemeinsames Interesse sie verbindet; dies wird durch frei zugängliche Lernmaterialien unterstützt. Als Moderierende ist es Ihre Aufgabe, diese Materialien ausfindig zu machen, bevor das Lernteam beginnt.

Die meisten Moderierenden verwenden Onlinekurse als Material für ihre Lernteams, weil Onlinekurse: (1) frei verfügbar sind, (2) von fachlich versierten Expert*innen entwickelt worden sind, und (3) in einem linearen Format konzipiert sind, das sich leicht an das Lernen in der Gruppe anpassen lässt. Es gibt allerdings viele Dinge, die ein Onlinekurs nicht leisten kann. Er kann Sie nicht als Person begreifen, er kann nicht Entscheidungen für Sie treffen, und er kann Ihnen nicht Bescheid geben, wann Sie an anderer Stelle nachsehen müssen, um zu finden, was Sie suchen. Außerdem sind freie Onlinekurse eine bunte Mischung: sie sind nicht immer kostenlos bzw. frei zugänglich, sie werden nicht immer von Fachleuten konzipiert und das Format eignet sich nicht immer für Lernteams.

Aus all diesen Gründen versuchen wir also nicht, den ‚perfekten Kurs' zu suchen: es gibt ihn nämlich nicht! Was wir nur tun können: versuchen, die besten Materialien zu finden, die es gibt, um Ihrer spezifischen Lerngemeinschaft dabei zu helfen, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen.

Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie keinen Kurs auf der P2PU-Kurs-Seite finden, der Ihnen zusagt, denn jeder mit einem P2PU Account kann jederzeit neue Kurse zu der P2PU-Datenbank hinzufügen, indem er dieses Formular benutzt. Einige unserer Lieblingsorte, für die Suche nach neuen Kursen sind:

  • Open Culture, ein Blog, der up-to-date bleibt und der frei verfügbare Onlinekurse aus dem Internet aufzeigt.
  • Class Central, ein Search Tool, das es Ihnen erlaubt, mit Hilfe unterschiedlicher Filter nach bestimmten Themen zu suchen, einschließlich Anfangsdatum und Kursbewertung.
  • Natürlich kann man auch einfach mit Google oder irgendeiner anderen Suchmaschine suchen, z.B. nach "free online course in \<topic\>".
  • Und schließlich haben wir eine ziemlich aktuelle Liste populärer Kursanbieter auf unserer Website. Dort können Sie nachsehen, um Anbieter zu finden, von denen Sie vielleicht vorher noch nicht gehört haben.
  • Zur Recherche von deutschsprachigen Kursen werden u.a. folgende Plattformen und Webseiten empfohlen:

Kurse einschätzen

Sie brauchen keine Fachleute für die Kursmaterialien zu sein, um ein Lernteam zu moderieren. Aber unabhängig davon, ob Sie in der P2PU-Kursdatenbank oder anderswo im Internet suchen, werden Sie die Kurse einschätzen wollen, bevor Sie ein Lernteam organisieren. Es gibt ein paar wichtige Aspekte, wenn man einen Kurs auf seine Eignung hin beurteilt:

  • Ist der Kurs frei verfügbar und erwarten Sie, dass alle Ressourcen für die Dauer des Lernteams verfügbar bleiben werden? (Eine Creative-Commons-Lizenz ist ein gutes Zeichen!)
  • Kann man bei dem Kurs den zeitlichen Ablauf selbst bestimmen? Falls es ein vorgegebenes Anfangs- und Ende-Datum gibt, passt es zu Ihrem Zeitplan?
  • Stimmt das wöchentlich zu veranschlagende Zeitkontingent und die Dauer des Kurses mit Ihren Erwartungen überein?
  • Erfordert der Kurs zusätzliche Ressourcen oder Software außer einem Browser und einem Textverarbeitungsprogramm? Falls ja, haben Sie diese Ressourcen zur Verfügung?

Falls es Ihnen schwerfällt, sich zwischen einigen Kursen zu entscheiden – P2PU hat ein detailliertes Bewertungsraster, das Sie nutzen können, um Kurse für Lernteams einzuschätzen und zu vergleichen.

Kurse anpassen

Wenn Sie nach Kursen gesucht und sie eingeschätzt haben, folgt als letzter Schritt die Anpassung an die Erfordernisse des Lernteams. Wie wir im ersten Modul erwähnt haben, sind nicht alle Kurse so auf Lernteams zugeschnitten wie dieser, d.h. Sie müssen als Moderierende Maßnahmen ergreifen, um den Kurs an das Lernteam-Format anzupassen. Was genau führt aber nun eigentlich dazu, dass ein Kurs erfolgreich für ein Lernteam genutzt werden kann?

!(https://stbibkoelnnicole.github.io/course-in-a-box/img/liste.png)

Neue Kurse erstellen

In einigen Fällen haben Moderatoren ihre Kurse selbst erstellt. Hier ein paar Beispiele, wie das aussehen kann:

Tinkercad in Cambridge, MA

Suzannah, eine Bibliothekarin in Cambridge, MA, hat ein paar Mal Lernteams zu Tinkercad veranstaltet, der freien web-basierten 3D-Modellierungssoftware. Tinkercad ist allerdings kein Kurs, sondern nur ein Tool. Aber nachdem sie zwei Lernteams veranstaltet hatte, war Suzannah in der Lage, ein Kurskonzept für eine vierwöchige Lernteam-Veranstaltung zu erstellen, das sie dann auf unserem Community-Forum für andere Moderierende zur Verfügung stellte, die an Tinkercad interessiert sind.

Fiction Writing in Boston, MA

Auf der anderen Seite des Charles River fand Jordan, eine Bibliothekarin in Boston, MA, die Auswahl an frei verfügbaren Kursen zum Schreiben von belletristischen Texten nicht zufriedenstellend. Da sie selbst schriftstellerisch tätig ist, erstellte sie eine Seite mit Wordpress und konzipierte dann einen Kurs zum belletristischen Schreiben für Anfänger, der speziell auf eine achtwöchige Lernteam-Veranstaltung zugeschnitten war. Der Kurs war so erfolgreich, dass sie seitdem 2 weitere Kurse konzipiert hat: einen über world building und den anderen über das Schreiben von Serien. Alle drei Kurse sind jetzt auf der P2PU-Kursseite zu finden. Wenn Sie mehr darüber lesen wollen – Jordans Erfahrungen waren 2019 auch ein Thema auf The Writing Platform, einer Online-Community für Autoren.

Es gibt natürlich keine Verpflichtung, selbst einen Kurs zu erstellen, wenn man ein Lernteam organisiert. Aber wenn es Sie interessiert, möchten wir Sie ermutigen, Course in a Box auszuprobieren, das von uns entwickelte Open-Source-Tool, mit dem man Onlinekurse ausarbeiten kann. Wir haben Course in a Box genutzt, um diesen Kurs zu entwerfen, und wir haben auch mit Partnern zusammengearbeitet, um andere Kurse zu konzipieren, die für Lernteams gedacht sind, wie z.B. Making and Learning.

Weitere Lektüre & Ressourcen

Wenn Sie daran interessiert sind, einige der Themen, die in diesem Teil vorkamen, zu vertiefen und mehr darüber zu erfahren, empfehlen wir folgende Ressourcen:


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